"Sie werden schließlich merken, dass auch Meditationsübungen eine Form von Magie sind, die Ihr Ich größer machen soll, und dass Sie ebenso wie Prediger und Lehrer, die Ihnen Schuldgefühle vermitteln, nun Ihrerseits versuchen, Ihren Durst mit Salzwasser zu stillen. (...) Sobald sich diese Illusion auflöst, werden Sie etwas sehr Merkwürdiges entdecken: dass Meditation und religiöse oder spirituelle Übungen jeder Art unnötig sind. (...) Man kann jede menschliche Aktivität einfach dadurch zur Meditation machen, dass man völlig dabei ist und sie ausschließlich um ihrer selbst willen tut."

Alan Watts, in: "ZEN - STILLE DES GEISTES" (2000)

 


Tomithy Holeapple, 5.9.2018

ZEN... IT!

glitzernde regentropfen

begleiten den gleichschritt

des aufrechten körpers

im verdampfenden grün

wo jede sekunde eine

neue sensation für

den leeren geist

der sich als

augen

fühlt


 

"Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Sandkorn und der Ewigkeit. Sie müssen sich die Ewigkeit nicht als etwas vorstellen, das im Sandkorn enthalten ist. Das Sandkorn IST die Ewigkeit. Genau so wenig unterscheidet sich die Tatsache, dass wir jetzt hier sitzen, vom Nirwana. So wie wir hier sitzen, sind wir im Nirwana. Sie brauchen weder zum Sandkorn noch zu unserem Hiersitzen einen philosophischen Kommentar abzugeben. Er erübrigt sich."

Alan Watts, in: "DIE RELIGION DER NICHT-RELIGION" (1965), in 'Buddhismus verstehen' (1995)

 

Psychopoetologische Reflexion über das Kurzgedicht "ZEN...IT!"

 

Eine Leserin kommentierte das Gedicht mit ihrer spontanen Erkenntnis

 

"Fühlt er [der Geist] sich als Augen, ist er auch schon wieder nicht mehr leer."

 

Dieses kostbare, kurze, knackige Interpretationsparadoxon inspirierte mich dazu, mir nochmals ausführlich Rechenschaft darüber abzulegen, welchen Stellenwert das Gedicht für mich selber in meinem eigenen Wahrnehmungsprozess einnimmt:

 

Die Metapher des leeren Geistes soll sagen, dass der Geist "selber" (platonisch "an sich") nicht existiert, sondern nur ALS die Sinne (z.B. in Form von Augen). Der springende Punkt im Gedicht ist daher, daß es keinen Geist mehr gibt, der wie ein Gefäß (=Seele, Selbst, Ich etc) mit "Wirklichkeit" gefüllt wird, sondern daß z.B. die Augen ALS Geist empfunden werden. Das Gedicht versucht zu beschreiben, wie sich die RÜCKKEHR MEINES BEWUSSTSEINS aus metaphysischer Abspaltung (psychotischer Dissoziation) ins Körperliche, Molekulare, Konkrete am neuen Erleben von Natur bemerkbar macht. Noch vor ein paar Jahren hätte ich solch ein Gedicht nicht verfassen können, weil ich mir mein Ich ALS Geist vorgestellt hatte, der sich dann bestenfalls (spirituell paradox) mit Leere füllt!

 

Es wäre wohl logisch richtiger gewesen, nicht vom "leeren" sondern vom AUFGELÖSTEN (zersetzten, verpufften, sich selbst ad absurdum geführten) Geist zu sprechen, um darzustellen, daß da KEIN Geist mehr ist, sondern nur noch Augen, die wahrnehmen. Aber ich tippte das Gedicht DIREKT IN DER BEWEGUNG DES SPAZIERENS BEIM ANBLICK der Tropfen auf den Halmen in mein Mobiltelefon und habe die Wörter danach nicht mehr auf ihren Wahrheitsgehalt "geprüft". Das Wort "leer" hatte in dem Moment einfach die klare Bedeutung von "Nichtsein", weil LEERE selber leer (=nicht) ist und eben kein eigenständiger Zustand eines angeblichen Geistes, der voll oder leer sein könnte. Ich nehme mein Ich seit einigen Jahren nicht mehr als Geistgefäß wahr, sondern ALS Augen und alle anderen Sinne: 100% real!

 

Und die zenbuddhistische Assoziation des Titels liegt dementsprechend daran, daß ja die sogenannte Realität leider nichts Statisches, Ewiges ist, sondern permanent fließt, zerfließt, sich verwandelt und wie Sand zwischen den Fingern (die selber aus Sand sind) zerrinnt. Dadurch empfinde ich mein Ich (=Realität) auch nur noch als etwas Zerfließendes, Ungreifbares, nicht Festzuhaltendes, wie die Moleküle meines Körpers selbst, die nur ein quantenmechanisches Vibrieren elektrischer Ladungen sind. In dieser totalen Offenheit konnte ich früher nicht leben, weil ich zwanghaft besessen unter dem neurotischen (Hochleistungs-) Druck stand, ein exakt zu benennendes Ich zu definieren, das UNABHÄNGIG von allen realen Sinnesempfindungen raumzeitlos frei existieren sollte, also quasi-religiös...

 

Ich habe diesen jahrzehntelangen Irrtum versucht, in meinem Gastbeitrag "DIE SPIRI-PSYCHOSE" für die Liga der Leeren zu dokumentieren, der unter der Domain www.ÜBER-ICH.de auf dem Urruhe-Portal der LDL zu lesen ist. Im Nachhinein finde ich in vielen meiner alten Gedichte Hinweise darauf, wie zwanghaft ich tatsächlich meine kreative Kraft einsetzte (mißbrauchte), um eine logische Lösung für das Bedürfnis nach einem "Ich" zu formulieren. Dabei entstanden zum Teil wirklich hochpoetische Illusionen, die ich noch heute als "starke" und "gute" Lyrik betrachten würde, aber der falsche Ansporn, die innere manisch-hyperreflexive Motivation des "sich selbst suchenden" Ichs sticht für mich heute sehr deutlich heraus. Einzig und allein die Erfindung der QUANTENLYRIK erlaubte es meinem Geist, sich zu beruhigen und allmählich aufzulösen und dadurch das Scheinproblem zu bewältigen.

 

Aber verrückt daran ist dennoch irgendwie, daß ich die Quantenlyrik erfand, als mein Ich selber noch überhaupt nicht bereit dafür war! Heute empfinde ich jeden Moment quantenlyrisch, weil sich die Objektbesessenheit des zwanghaft "absolute Wahrheit" (Selbstgewissheit) suchenden Ichs in Wohlgefallen aufgelöst hat. Alles Erlebte, die gesamte Erfahrung von Realität leuchtet darum in meiner Wahrnehmung quantenlyrisch zerflossen. Eine wahrnehmende Person hinter der Wahrnehmung erscheint "mir" (=den Gedanken, die das Gehirn hier produzieren) ebenso inflationär unlogisch wie alle anderen Hirngespinste, die etwas höheres, größeres, wahreres hinter den neuronalen Schaltkreisen herbeisehnen.

 

Das göttliche Jenseits liegt in Wirklichkeit direkt vor unseren Augen: alles (inklusive der Augen selber!) ist aus sich selbst gemacht - völlig frei von jenseitigen (metaphysischen) Ursachen. Das Gespenst des Dualismus war nur ein böser Spuk der verspannten Ich-Illusion. Ohne dieses Gespenst gibt es auch keinerlei Ich mehr. Das Ich und sein sich selbst suchender Schatten waren ein und derselbe spirituelle (bzw. spiritistische) Blöff! Jetzt nimmt die Tiefenentspannung endlich den Platz des implodierten "Denkers seiner Gedanken" ein und das ganze Leben, jede Bewegung gleicht einem heiligen Wellnesstrip aller miteinander tanzenden Moleküle. Hätte ich mit einer besseren psychotherapeutischen Hilfe schon früher oder schneller in diesem Zustand ankommen können? Mein steiniger Weg dauerte fast dreißig Jahre seit der Initialzündung der Lochismus-Erfahrung am 5.5.1989, in der eigentlich alles bereits angelegt war, was ich heute verstehe. Seltsam, wie es laufen musste...