Nach 1 befristeten Vertragsjahr als Betreuungskraft in einem Pflegeheim war ich gezwungen, mich zunächst wieder als arbeitslos zu melden und "ergänzendes" ALG2 (Hartz4) zum ALG1 (60% des Lohns) zu beantragen. Als NEUKUNDE geriet ich an eine Sachbearbeiterin, die leider das Vorurteil bestätigte, daß man im Jobcenter auch sehr entwürdigend respektlos behandelt werden kann. Zum Glück zählt diese Begegnung in meiner "Karriere" als Jobcenterkunde bislang zu den Ausnahmen - ich werde normalerweise von "Fallmanagern" so behandelt, wie man es von Managern erwartet: daß sie FÜR einen da sind, einem helfen und sich in die Situation des Kunden einfühlen, um etwas Erfolgversprechendes aufzubauen...

 

Tom de Toys, 16.1.2020 © POEMIE®

MACHT & MOTIVATION

ZWEI SORTEN MENSCHEN AUF ÄMTERN

Zuerst dachte ich daran, eine offizielle Beschwerde über diese Angestellte im öffentlichen Dienst zu schreiben, um meinem Ärger Luft zu machen. Aber dann wurde mir bewusst, daß es für sie noch viel peinlicher werden würde, wenn ich sie mit eben jenem Mittel bloßstelle, das sie zu meiner respektlosen Erniedrigung mißbraucht hatte: der Literatur! Meine lieben Zuhörer, es geht hier um wirklich nichts geringeres als DIE LITERATUR. Die Literatur an sich. Ihre Bedeutung, ihr Sinn und Zweck, ihre Relevanz, ihre Schönheit und Wahrheit und was für eine Aufgabe sie in einer Welt hat, die von skrupellosen Egoisten regiert und zerstört wird. Ich brauche dafür keineswegs die gesamte Literaturgeschichte von hinten aufzurollen, es genügt völlig, diese x-beliebige Situation auf einem der x-beliebigen Ämter in einem x-beliebigen Land dieses Planeten als Fallbeispiel durch zu exerzieren, damit deutlich wird, an welcher apokalyptischen Schwelle die Menschheit balanciert: ein veralteter Menchentyp tummelt sich immer noch in Bürolöchern und schikaniert visionäre, zu gut gelaunte Menschen wie mich, die mit naiver Vorfreude bei ihrem Termin auftauchen, um Geld für das Überleben gemäß einer Sozialreform zu beantragen, deren Namensgeber in der Rolle als Manager Firmengelder für Bordellbesuche mißbrauchte. Ich nenne diesen ersten Menschentyp der Einfachheit halber MACHTMENSCH, weil er zeitlebens brutalen Druck auf andere ausübt, um seine subtile Depression vor sich selbst zu verschleiern. An solch einen Mensch bin ich bei diesem Termin leider geraten und staunte nicht schlecht, mit welch überheblicher Selbstsicherheit dieser über mein Hobby urteilte, das ich seit einigen Jahren zur Altersvorsorge ausbaue und dadurch auf viele Annehmlichkeiten des Lebens verzichte, die für den normalen Bürger selbstverständlich sind. Anstatt mich zu fragen, WARUM ich so viel Geld in eine Sache investiere, die keinen finanziellen Gewinn abwirft, schmettert die Dame mir eine hochgradig kapitalistische Ansage entgegen: „Sollte sich nach Aktenlage herausstellen, daß Ihre Ausgaben gegenüber den Einnahmen zu hoch sind, rate ich Ihnen, von diesem Hobby Abstand zu nehmen. Ich kann es Ihnen zwar nicht verbieten, aber Sie sollten es dann lieber lassen. Denn das Jobcenter muss sich sonst fragen, woher Sie das Geld eigentlich nehmen, um dieses Hobby so exzessiv zu betreiben.“ Ich frage rhetorisch zurück: „Ja, woher nehme ich das Geld eigentlich!“ und unterdrücke meinen Schock über dieses TOTAL DESINTERESSIERTE Totschlagargument, aber Sie wiederholt daraufhin nochmal nachdrücklich: „Ja, woher nehmen Sie denn das Geld?“ Man muss dazu sagen, daß Machtmenschen nicht neugierig sind. Sie versetzen sich nicht in die Lage ihres Gegenübers und wollen gar nicht wissen, mit wem und was sie es überhaupt hier zu tun haben. Sie denken in ihren vorgekauten kleinkarierten Bahnen, haben Strukturen und Schablonen im Kopf, die sie einem überstülpen, und wollen nur eines: ihre Akten sortieren und sauber halten. Kein Wunder, daß der Planet an uns zugrunde geht, wenn wir nur Macht und Kontrolle ausüben, ohne den nutzlosen Selbstwert einer Pflanze und eines Tieres zu würdigen. Die Wertschätzung beschränkte sich bislang auf ihren Nutzfaktor, aber selbst der hat sich inzwischen als derart komplex erwiesen, daß unsere monokulturelle Sicht auf einen Gebrauchswert nicht nur die marktwertfreie Schönheit eines Wesens ausblendete, sondern den mehrdimensionalen Nutzen eines jeden Staubkorns übersah. Bestes Beispiel dafür sind die Insekten: wir rotten sie aus, um bessere Ernte einzufahren, aber stattdessen ist dann niemand mehr da, um die Bestäubung der Pflanzen nebenbei zu erledigen und dann als Futter für die Vögel zu dienen. Aber wer braucht schon Vögel! Und wer braucht schon LITERATUR! Diese Dame hatte in ihrer kleinen klimatisierten Gefängniskammer nur eine einzige Aufgabe: eine eindeutige Beweislage zu schaffen, ob ich das Recht habe, zusätzlich zu meinem Arbeitslosengeld 1 (ALG1: 60% des Lohns nach 1 Jahr Job) noch ergänzendes Hartz4 zu beantragen, um meine Miete und die Luft zum Atmen zu bezahlen. Sie fragte mich bis zum Schluss des Gesprächs nicht ein einziges Mal, WARUM ich dieses Hobby betreibe und seit wann und mit welcher Zielvorstellung, geschweige denn, ob ich einen Plan habe, um die Gewinne zu steigern, damit dieser seelische Mehrwert KULTUR nicht dem Tode geweiht sein muss. Ich erklärte ihr, daß ich Bücher produzierte, von denen nicht genügend Exemplare verkauft werden, um die Produktionskosten zu decken, und Domains anmiete, durch deren Verlinkung mit den Internetseiten, wo diese Bücher präsentiert werden, einen zusätzlichen Werbeposten in den Ausgaben verbuche. Zu weitreichenderen Erläuterungen kam es nicht; denn es mussten noch zwei Formulare besprochen werden, die ich zusammen mit Kontoauszügen und Verlagsrechnungen innerhalb von einer Woche einreichen soll, damit sie entscheiden kann, ob die Ausgaben zu hoch sind, um die Literatur weiter als antikapitalistisches Hobby zu betreiben, falls ich Geld zum Überleben von ihr erhalten möchte. Die Ironie dieser Begegnung liegt in so feinen Details, deren Ausmaß sie nicht in den kühnsten Träumen erahnen würde: daß ich ausgerechnet HEUTE FRÜH auf dem Weg zu ihr noch den Postboten an meiner Straßenecke traf, der das Paket meines Verlags für mich bereit hielt, in dem mir meine allerjüngste, topaktuelle Publikation geschickt wurde: „SENIORENZEN“, der Jobratgeber für zusätzliche Betreuungskräfte. Ein im Preis sehr knapp kalkuliertes Heft, das nicht darauf abzielt, mich reich zu machen, sondern so günstig zu kaufen ist, daß es sich ganz genau die Zielgruppe leisten kann, um die es darin auch tatsächlich geht. Die Betreuer gehören noch immer zu der am schlechtesten bezahlten Berufsgruppe bei maximaler Ausbeutung ihres Engagements. Darum kann ich auch nach einem Jahr mit angesammelten Überstunden und Resturlaub nicht von den 60% des Lohns leben, sondern sitze vor der total korrekten Sachbearbeiterin, die meinen Beruf gar nicht wissen will, und erläutere ihr das Prinzip von Books on Demand: all die Jahresgebühren für jedes Druck-PDF meiner ungefähr 20 Bücher, damit diese überhaupt im Buchhandel auffindbar sind, werden mit Umsätzen verkaufter Exemplare verrechnet, die nur bei Bestellung gedruckt werden. Hinzu kommen die Jahresgebühren bei DomainFactory für über 100 Domains mit deutscher .de-Endung, weil die am günstigsten sind, wie z.B. www.DEMENZYOGA.de , die direkt zu der Amazonseite des Ratgebers führt, damit dort potenzielle Leser landen, die durch bestimmte Fachbegriffe z.B. über Stichwortsuche bei Google leichter auf mein Buch stoßen. Dasselbe Spiel bei meiner Homepage als Jobsuchender: mit www.BETREUUNGSALLTAG.de und der dortigen Unterseite www.TomHolzapfel.de mit meinem Steckbrief aus den Bewerbungsunterlagen kann ich zukünftige Arbeitgeber professionell auf mich aufmerksam machen. Aber wenn es nach meiner ambitionierten Sachbearbeiterin ginge, müsste ich auch die Domains für die Jobsuche sowie das Druck-PDF des Ratgebers kündigen, weil ich ja mehr Geld dafür ausgebe als dadurch einnehme. Der Sinn und Zweck von Literatur darf für solche Leute lediglich im billigen Bestseller-Unterhaltungswert liegen. Jede gesellschaftskritische, ja kulturkritische Nische, in der wirklich Aufklärung geboten wird, für die sich nur wenige Käufer begeistern lassen, ist schon aus ökonomischen Gründen für derart engstirnig Denkende tabu. Ich gehöre zu jenen idealistischen Dinosauriern, die noch Kunst um der Kunst willen produzieren. Wir sind die Visionäre von Inhalten, die heute noch keiner braucht. Und wir motivieren uns gegenseitig trotz der apokalyptischen Weltlage, nicht aufzugeben, sondern unser Herzblut in all die Projekte zu stecken, die aus uns mehr machen als nur egoistische Machtmenschen, die keine Neugier auf Neues kennen, kein Interesse daran haben, sich in die Weltsicht ihres Gegenübers zu versetzen, und die nur ihre Bilanzen sauber halten wollen, während die Seele verdreckt und verrottet. Die Seele im Sinne von Feingefühl, Mitgefühl und Taktgefühl, über das sogenannte MOTIVATIONSMENSCHEN verfügen. Auch solche findet man manchmal auf Ämtern. In Berlin öffnete mir mein Sachbearbeiter im Sozialamt Neukölln immer die Tür mit den Worten: „Herr Holzapfel, WAS MACHT DIE KUNST?!“ Und auch in Düsseldorf kenne ich derart motivierende Menschen sowohl im Jobcenter also auch im Arbeitsamt, für die Service noch mit Seele zu tun hat. Ich nenne sie gerne Fallmanager; denn sie geben mir als verzweifelten Kunden das wundervolle Gefühl, ein verkannter Star zu sein, dem sie zurück ins Rampenlicht helfen. Meine Ausbildung zum Betreuer habe ich solch einer Dame mit Stil und Charakter zu verdanken, die an mich glaubte und mir Mut schenkte...


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MACHT & MOTIVATION: 2 Sorten Sachbearbeiter im Jobcenter Düsseldorf Süd
Nach 1 befristeten Vertragsjahr als Betreuungskraft in einem Pflegeheim war ich gezwungen, mich zunächst wieder als arbeitslos zu melden und "ergänzendes" ALG2 (Hartz4) zum ALG1 (60% des Lohns) zu beantragen. Als NEUKUNDE geriet ich an eine Sachbearbeiterin, die leider das Vorurteil bestätigte, daß man im Jobcenter auch sehr entwürdigend respektlos behandelt werden kann. Zum Glück zählt diese Begegnung in meiner "Karriere" als Jobcenterkunde bislang zu den Ausnahmen - ich werde normalerweise von "Fallmanagern" so behandelt, wie man es von Managern erwartet: daß sie FÜR einen da sind, einem helfen und sich in die Situation des Kunden einfühlen, um etwas Erfolgversprechendes aufzubauen...
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