*Boris Kerenski, 8.1.2020 (Hrsg. der Anthologie "KALTLAND BEAT", 1999)

Rezension des Werkquerschnitts "DIREKTE DICHTUNG" (Best of Poemie 1989-2019)

* "Kaltland Beat (Neue deutsche Szene, 1999) ist die Bestandsaufnahme einer Krise, nämlich Manifest der Erkenntnis, dass das Projekt der Moderne mit seinen diversen Ansprüchen nach Originalität, Vitalismus, Avantgarde, Präsenz, Dissidenz, Schock und Aufhebung von Kunst und Leben auch im literarischen Underground historisch geworden ist. [...] Damit ist Kaltland Beat aber zugleich auch die beste deutschsprachige Anthologie zum Thema, eine die alle anderen glatt ersetzt."  (Martin Büsser, Testcard / Beiträge zur Popgeschichte)

»Direkte Dichtung« heißt das neueste Werk von Tom de Toys – einem ungemein produktiven Kunstschaffenden, der seit über 30 Jahren publiziert. Angesichts des Umfangs seines Oeuvres – es gibt ca. 200 veröffentlichte Bücher und Hefte – ist es verständlicherweise nicht einfach, das bisher Entstandene zu überblicken. Ein Umstand, der sicherlich auch den Autor motivierte »Direkte Dichtung« aufzulegen, handelt es sich doch dabei um einen Übersichtsband, der in vier Kapiteln exemplarische Gedichte einzelner Arbeitsreihen abdruckt.

 

Im kurzen ersten Kapitel »Ausnahme-Gedichte« finden sich zum Beispiel das älteste – »Mut« (1989) – und auch das jüngste Gedicht – »Quizfrage« (2019). Letzteres ist eine rasante Auseinandersetzung mit der Rolle des Dichters und was ein Gedicht konkret zu leisten vermag oder auch nicht. »Radikale Slampoesie« – Kapitel zwei – vereinigt Beiträge, die nicht zwangsläufig für die Bühne geschrieben wurden, die man sich dort aber bestens vorstellen kann. Der Text »Über-B-Wertung (Prädikat: “Slamtauglich“)« trägt ja bereits im Titel die ironische Anspielung auf ein literarisches Veranstaltungsformat im Nachtleben. Doch beim Lesen wird klar, dass De Toys diesen Text nicht verfasst hat, um als strahlender Poetry-Sieger gefeiert zu werden, den die Mehrheit nett, witzig oder unterhaltsam finden soll. Vielmehr handelt es sich um das Bekenntnis eines Dichters zur Sprache und der ständig fordernden, teils quälenden Auseinandersetzung mit ihr. De Toys ist ein Bühnenvulkan, das illustriert ein Foto von 1994, das ihn nackt zeigt bei der Performance von »Zieht euer Gehirn aus!!!«. Auch im noch frischen Jahr 2020 wäre dies eine Provokation an einem harmlosen Slam-Abend.

 

»Der Ja(hrhundert)-Zyklus« bildet das umfangreiche Kapitel drei und »Die Lochgebete«, die dank ihrer Nummerierung dem Leser einen retrospektiven Charakter vermitteln, sind in Kapitel vier zusammengefasst. Diese Gedichte besitzen teilweise eine spirituelle/existentialistische Note, thematisieren sie den Urknall, das Universum und den äußerst nichtigen Menschen darin. So heißt es in »Überevent«: »das universum / IST ein superhirn / die galaxien sind / synapsen in der leere / zwischen den planeten / nervenbahnen und / die erdregion: / als sitz der seele!«

 

Der Band besitzt eine ansprechende Grafik und die Gedichte sind großzügig gesetzt. Aufgelockert wird die Sammlung durch zahlreiche Fotos (in Farbe/SW) von De Toys – ein echtes Multitalent –, die darüber hinaus Bezüge zu den Gedichten herstellen: »Fotomie« meets »Poemie«.

 

»Direkte Dichtung« ist das, was man von erfolgreichen Bands kennt, ein Best-off-Album. »Direkte Dichtung« ist eine Kompilation, die so ein Versprechen einhält.

 

Tom de Toys: Direkte Dichtung / Popliteratur abseits vom Mainstream. BoD 2019, 17.-

 


Kaltland Beat

Neue deutsche Szene

Hrsg. v. Boris Kerenski & Sergiu Stefanescu

Mit einem Vorwort von Peter O. Chotjewitz

Ithaka Verlag, Stuttgart 1999

400 Seiten, Softcover

Das Buch ist vergriffen, antiquarisch erhältlich u.a. bei Amazon

  

In Vorbereitung: Im Jahr 2020 erscheint eine überarbeitete Neuauflage

im Verbrecher Verlag Berlin !